Im Größenbereich zwischen den Dimensionen einzelner Moleküle und der „Bulkphase“
findet man in einigen Fällen bemerkenswerte Änderungen von chemischen und
physikalischen Eigenschaften. Dies gilt insbesondere für Partikelgrößen im
Nanometerbereich. Im Blickpunkt des Interesses stehen z.B. halbleitende Phasen wie
Cadmium- und Zinkchalkogenide
und -pnikogenide. Für diese Verbindungen findet man eine ausgeprägte
Abhängigkeit der Bandlücke von der Größe der Teilchen. Diesen Umstand bezeichnet man als
Größenquantisierungseffekt. Er gibt die Veränderung der Energieniveaus wieder, die beim
Übergang von der „Bulkphase“ zu nanometer-großen Partikeln (Q-Teilchen, engl. „quantum
dots“) beobachtet wurde. Als Folge davon findet man, daß sich mit abnehmender
Teilchengröße die Farbe von Cd3P2, das aus kolloidalen Lösungen erhalten wird, von schwarz
über rot, orange, gelb bis nach weiß ändern kann. Die Bandlücke wird dabei um so größer, je
kleiner die Teilchen werden. Der Grund liegt in den enger werdenden Teilchenwänden für die
frei beweglichen Ladungsträger. Im makrokristallinen Zustand liegt die Bandlücke von Cd3P2
bei nur 0,5 eV, während in 15 Å großen Partikeln die Bandlücke auf 4 eV anwächst.
Um solche Verbindungen zu erhalten, gibt es zwei Vorgehensweisen, die durch die
beiden folgenden Schlagwörter beschrieben werden: Eine Variante ist das „top down“, also
die Verkleinerung makroskopischer Partikel in nanoskopische Dimensionen, wie sie z.B. bei
der Synthese von Nanopartikeln aus Kolloiden angewendet wird.
Die andere Möglichkeit besteht in der Aggregation von sub-nanometer Partikeln zu
Teilchen der gewünschten Größenordnung (engl.: „bottom up“). Um solche Systeme zu
stabilisieren, bedient man sich entweder einer Matrix (beispielsweise Zeolithe, in deren
Hohlräumen Q-Teilchen eingebaut werden), oder man schirmt die Partikel mit einer
schützenden Hülle ab. Beide Verfahren führen aber zur Bildung einer Mischung von
unterschiedlich
großen Teilchen. Monodisperse Partikel lassen sich dagegen nur über umständliche
Separationsverfahren darstellen.
Eine Verbindungsklasse innerhalb der Q-Teilchen stellen Cluster-Verbindungen (engl.:
Cluster = Haufen) dar. Sie werden unterschiedlich definiert.
Der Begriff Cluster und ein paar Motive
In dieser Übersicht soll der Begriff
Cluster jedoch nicht auf Atomansammlungen mit Metall-Metall-Wechselwirkungen
beschränkt bleiben, sondern alle größeren mehrkernigen einschließen.
Cluster der wichtigsten Q-Teilchen kennt man von den binären Halbleiterphasen CdS,
CdSe, CdTe, ZnO, ZnS, ZnSe und ZnTe.
Ag-Se-Clusterkomplexe
Die Umsetzung von AgCl mit silylierten Selenkomponenten in Gegenwart tertiärer Phosphane führt nur zum
binären Silberselenid. Umsetzungen von Silbercarboxylaten AgO(CO)R mit Trimethylsilylseleniden bei Anwesenheit von
einzähnigen Phosphanen PR´2R´´ führen zu einer Reihe selenido- und selenolatoverbrückter
Silbermehrkernkomplexen.
In weiterführenden Untersuchungen konnten durch Ersetzen des tertiären Phosphans gegen zweizähnige Phosphane
weitere Verbindungen
erhalten werden.
Die Ergebnisse sind in Schema 1 nochmals
dargestellt.
Schema 1: Reaktionen von Silbersalzen mit zweizähnigen Phosphanen und silylierten Alkylselenanen.
Bei einem Silbersalz-Phosphan-Verhältnis von größer ¼ bilden sich unter anderem farblose Verbindungen, die wie
[Ag
2(OBzl)
2(dppp)
2] (22) (OBzl = Benzoat; dppp = Bis-(diphenylphosphino)-propan) aus den
entsprechenden Phosphankomplexen bestehen und vermutlich aufgrund der sterischen Abschirmung nicht mit dem Selenolat
reagieren.
Bei analogen
Umsetzungen mit einer geringeren Phosphanmenge konnten die folgenden Verbindungen
synthetisiert werden, die die ersten
selenverbrückten Silbercluster mit zweizähnigen Phosphanen darstellen.
Die Verbindungen können aufgrund Molekülstruktur im Kristall in drei
Substanzklassen eingeteilt werden.
Zunächst werden Silberkomplexe gebildet, die neben den Phosphanmolekülen nur Se(R)
--Liganden besitzen. Ein Beispiel
dafür ist der [Ag(SeR)]
4-Komplex (1),
in dem die Selenolatliganden nur μ-verbrückend sind. Als Folge davon wird ein gewellter Ring aus acht Atomen bildet.
Die Verbindung [Ag4(SeiPr)4(dppm)2] (1) aus der
Röntgenstrukturanalyse
In der Struktur von (2) bilden Se(Et)
--Liganden Oktaeder, die kantenverknüpft als polymere Kette vorliegen.
Die Verbindung [Ag8(SeEt)8(dppp)]∞ (2) aus der
Röntgenstrukturanalyse.
Eine
weitere Substanzklasse liegt in den Verbindungen (3), [Ag28Se6(SenBu)16(dppp)4] (23) und [Ag172Se40Se(nBu)92(dppp)4] (24)
vor, in der neben Se
2--Liganden auch Se(
nBu)
--Reste auf der Oberfläche des Moleküls koordiniert sind.
Die Verbindung [Ag34Se7(SenBu)20(dppbe)6] (3) aus der
Röntgenstrukturanalyse.
Die Verbindungen [Ag
28Se
6(Se
nBu)
16(dppp)
4] (23) und
[Ag
172Se
40(Se
nBu)
132(dppp)
4] (24) beinhalten in beiden Fällen Se-Schichtgitter, in (24) bedingt durch das kubisch
innenzentrierte Selenteilgerüst. Dennoch
zeigen sich gewisse Unterschiede im Aufbau. So ist die Anordnung der Silberatome in (23) ebenfalls in Schichten geordnet,
während die Silberatome in (24) größtenteils ohne Schichtanordnung im Se-Gitter liegen.
In (23) liegt ein Se
2-Oktaeder vor, dessen Spitzen von einem
nBuSe-Sechseck umgeben sind.
Die äquatorialen Selenidionen sind mit
nBuSe
--Ionen μ2-verbrückt.
Die Silberatome liegen in fünf etwas verzerrten Schichten zwischen bzw. in den Selenschichten.
Die Verbindung [Ag28Se6(SenBu)16(dppp)4] (23) aus der
Röntgenstrukturanalyse
In (24) bilden die Selenatome eine aus zwei gegeneinander verschobene Pyramiden bestehendes Selengitter, in dem die
Silberatome mit Koordinationszahlen
von 2 bis 4 verteilt sind.
Der Trend zum Festkörper zeigt sich in (24), der bis dato größten chalkogenverbrückten Clusterverbindung,
deutlich in der Ausbildung des analogen Anionengitters, den ähnlichen Abständen, den zwei Koordinationsformen
(tetraedrisch und trigonal planar) und den makroskopischen Beobachtungen, wie der schwarzen
Farbe der Kristalle. Interessant ist zudem, daß das Anionengitter in (24) mit einer maximalen Schichtdicke von etwa 2,9 nm
(von Spitze zu Spitze) hier als
innenzentrierte Packung vorliegt, da β-Ag
2Se je nach Schichtdicke in Untersuchungen an dünnen Filmen
unterschiedliche Gittertypen ausbildet.
Durch das kleinere Silber:Selen-Verhältnis von etwa 1,3:1 sind die Ag-Se-Bindungen in 3 kleiner als im Festkörper.
Trotz der Tatsache, daß die Silbermenge bezogen auf die Selenmenge geringer ist als im Festkörper, sind auch die
Silber-Silber-Kontakte in (24) kürzer.
Beim Vergleich der Silberselencluster mit den verwandten Kupferclustern zeigen sich gewisse Ähnlichkeiten. Dennoch
liegen hier zwei unterschiedliche
Systeme vor. Das erkennt man zum Beispiel an den binären Festkörperstrukturen von Ag
2Se und Cu
2Se,
die einen unterschiedlichen Aufbau zeigen. Die
Bindungsstärken der Ag-Se- und der Cu-Se-Bindung differieren ebenfalls, wie man an der Reaktivität sieht.
Kupfersalz-Phenylselenolat-Umsetzungen
lassen sich bei RT durchführen, die analoge Silberumsetzung reagiert zum Silberselenid. Erst bei tieferen Temperaturen
lassen sich erfolgreiche
Synthesen in diesem System durchführen.
Die Verbindung [Ag172Se40(SenBu)132(dppp)4] (24) aus der
Röntgenstrukturanalyse
In
(4) findet man dagegen keine Alkylreste an den Selenatomen. Die Silberatome werden nur durch 57 Se
2--Ionen verbrückt
und durch Phosphanliganden sterisch abgeschirmt.
Die Verbindung [Ag124Se57(SePtBu2)4Cl6(dbpp)12] (4) aus der
Röntgenstrukturanalyse.
Es hat sich gezeigt, daß die Umsetzung von Silbercarboxylaten mit Alkyltrimethylsilylseleniden und zweizähnigen
Phosphanen zu neuen Strukturen führt.
Ag-Te-Clusterkomplexe
Durch die hier vorgestellten Synthesen konnten binäre Ag-Te-Clusterkerne mit 11, 34 und 63 Schweratomen hergestellt
werden. In den Molekülstrukturen nimmt dabei das Ver-hältnis Te:Ag von 1,20:1 über 0,89:1 bis 0,66:1 ab.
Eine übersicht zeigt Schema 2.
Schema 2: Reaktionen von Silbercarboxylaten mit zweizähnigen Phosphanen und silylierten Alkyl- und
Aryltelluranen.
In (6) findet man einen anionischen Clusterkern, der aus 6 Te(Ph)
--Liganden und 5 Silberionen gebildet wird.
Die Struktur
wird durch ein Phosphonium-Ion
([Ph
2P(CH
2)
2PPh
3]
+) stabilisiert. Diese Einheiten werden durch
zweizähnige Phosphanmoleküle zu unendlichen
Ketten verbrückt.
Die Verbindung
{[Ag5(TePh)6(Ph2(CH2)2PPh3)](dppe)}∞ (6) aus der
Röntgenstrukturanalyse.
(7) enthält einen Clusterkern
aus 18 Silber und 16 Telluratomen, der eine trigonal-pyramidale Form besitzt. Im Zentrum des Moleküls befindet sich
ein Te
2--Ion, das von 15 TePh
--Liganden
umgeben wird.
Die Verbindung
[Ag18Te(TePh)15Cl(dppp)3} (7) aus der
Röntgenstrukturanalyse.
Den größten hier vorgestellten Ag-Te-Clusterkomplex stellt die Verbindung (8) dar. Sie besteht aus 38 Silber und 25
Telluratomen, von denen 12
als Te(
tBu)
--Liganden vorliegen. Das Innere des Clusters ist nahezu regelmäßig aus einem Ag
12-
und Te
12-Ikosaeder schalenförmig aufgebaut.
Die Verbindung
[Ag38Te13(TetBu)12(dppe)6 (7) aus der
Röntgenstrukturanalyse.
Der dritte Abschnitt beschäftigt
sich mit neuen, chalkogenverbrückten Gold-Cluster-Komplexen, die durch die Synthese von Gold-Phosphan-Komplexen mit
E(SiMe
3)
2 bzw. E(R)SiMe
3 erhalten werden
konnten (9-19). Der Ladungszustand der Clusterkomplexe konnte mit Hilfe der FT-ICT-ESI-MS nachgewiesen werden.
Lumineszenzerscheinungen wurden in
Fluoreszenz-untersuchungen an den Gold-Komplexverbindungen beobachtet.
Die Umsetzung von Gold-Phosphan-Komplexen mit silylierten Chalkogenverbindungen führt zu Au-E-Clusterverbindungen
(9-19) (E = Se, Te). Einen Überblick
zeigt das Schema 3.
Schema 3: Reaktionen von Goldkomplexen zweizähniger Phosphane mit silylierten Chalkogenderivaten.
Die drei synthetisierten Au
10-Clusterkomplexe (9-11) besitzen verschiedene Strukturen, die formal aus zwei
[Au
5Se
2]-Einheiten zusammengesetzt sind. Diese [Au
5Se
2]-Gruppen werden von
Phosphanliganden auf unterschiedliche Weise
koordiniert. Die Synthese der drei Goldverbindungen ist in Schema 4 dargestellt.
Schema 4: Synthese der drei Au10Se4-Clusterverbindungen.
Die Verbindung [Au
10Se
4(dppm)
4]Cl
2 (9) bildet einen Au
8-Achtring,
in dessen Mitte sich zwei weitere Goldatome befinden,
während
sich in [Au
10Se
4(depe)
4][SeS
4] (10) die beiden Komplexfragmente durchdringen.
Die Verbindung
[Au10Se4(dppm)4]Cl2 (9) aus der
Röntgenstrukturanalyse.
Die Verbindung
[Au10Se4(depe)4][SeS4] (10) aus der
Röntgenstrukturanalyse.
In (11) liegen
die [Au
5Se
2]-Einheiten im Kristallgitter stufenförmig hintereinander mit relativ kurzen, intermolekularen
Au-Au-Abständen.
Die Verbindung
[Au10Se4(dpppe)4]Cl2 (11) aus der
Röntgenstrukturanalyse.
Die Clusterkomplexe (9) und (10) zeigen in den Lumineszenzexperimenten nur eine geringe Photolumineszenzintensität,
während das Kation von (11) eine sehr effiziente Quantenausbeute von etwa 30 % bei einer Anregung von 300 bis 500 nm
besitzt.
Die Lumineszenzaufnahmen von (11).
Die Unterschiede im Schweratomgerüst der Gold-10-Cluster.
Die [Au
18Se
8]-Clusterkomplexe (12-16) scheinen besonders stabil zu sein. Sie setzen sich aus
verschiedenen Ausgangskomplexen zusammen, die von
unterschiedlichen Phosphanen koordiniert werden. Eine Übersicht der Synthesewege zeigt Schema 6.
Schema 6: Synthese der Gold-18-Clusterkomplexe.
Der Komplex wird aus zwei ineinander verzahnten
[Au
9Se
4]-Teilkomplexen gebildet und durch die Phosphane stabilisiert.
Die beiden Komplexfragmente setzen sich aus eckenverknüpften [Au
3Se]-Tetraedern zusammen.
Die Verbindung
[Au18Se8(dppe)6]Cl2 (12a) aus der
Röntgenstrukturanalyse.
In einem elektrospray-massenspektroskopischen Experiment mit der Verbindung (12b) zeigt sich eine sehr gute
Übereinstimmung mit dem simulierten Spektrum.
Die Massenspektroskopische Untersuchung von (12b).
Neben dem Molmassenpeak konnte man in (12a) noch schwache Signale der höheren Aggregate
[(Cluster)
nCl
n-1]
(n+1)+ (n = 1, 2, 3, ...) finden.
Die Aggregation der Au18Se8-Cluster.
Die anschließende Untersuchung der Stabilität mittels Kollision
mit Edelgasatomen zeigte bei Helium keine Reaktion. Erst Argonatome vermochten das Clustergerüst in zwei Teile zu
fragmentieren.
Die Fragmentierung des Clusterkations von (12) mit Edelgasatomen.
Das Lumineszenzspektrum des Goldkomplexes (12) zeigt neben einem „normalen“ Photolumineszenzspektrum einen Energietransfer
vom langlebigen angeregten Triplettzustand des Clusterkomplexes zu einem Signal für Singulett-Sauerstoff um 1275 nm.
Die Fragmentierung des Clusterkations von (12) mit Edelgasatomen.
Neben den zwei typischen Strukturtypen der Au
10- und Au
18-Clustern konnten zwei weitere kleinere
Komplexe der Verbindungen (17) und (18) gefunden werden.
Die Verbindung
[Au2Se(dppb)4]∞ (17) aus der
Röntgenstrukturanalyse.
Die Verbindung
[Au6Se2(dppbp)3]Cl2 (18) aus der
Röntgenstrukturanalyse.
Durch die Verwendung eines Tetraphosphans (TPEP) konnte die bisher größte, röntgenographisch charakterisierte,
selenverbrückte Gold-Clusterverbindung hergestellt werden. Daneben findet man auch die Bildung eines zweikernigen
Phosphankomplexes.
(19) stellt ein Dimer aus zwei [Au
17Se
7]-Fragmenten dar. Die Teilkomplexe sind, wie die zuvor
genannten Verbindungen aus [Au
3Se]-Tetraedern aufgebaut.
Die Verbindung
[Au34Se14(tpepSe)2(tpep)6]Cl6 (19) aus der
Röntgenstrukturanalyse.
Zwei der Phosphanmoleküle am Clustergerüst besitzen ein Phosphoratom an
einer Seitenkette, das im Verlauf der Reaktion unter Bildung einer P-Se-Bindung reagiert hat.
Die Anbindung der Phosphanmoleküle in (19) farblich dargestellt.